„8 Stunden lag ich bereits in den Wehen im Krankenhaus. Doch auf einmal ging alles ganz schnell. Die Herztöne meines Babys waren weg und ich wurde für den Kaiserschnitt vorbereitet. Ich hatte alles dafür getan, meine natürliche Traumgeburt haben zu können – Geburtsvorbereitungskurs mit meinem Freund, Hypnosen, unzählige Spaziergänge, Schwangeren-Yoga und jede Menge Datteln standen auf meinem Tagesplan. Doch am Ende sollte es nicht sein“, erzählt Lisa (34 Jahre alt) mit traurigen Augen in unserem Interview.
Keine Antworten, nur eine Handvoll Schuldgefühle
„Heute frage ich mich, was ich noch besser hätte machen können. Aber die Antworten bleiben aus und lassen nur eine Handvoll Schuldgefühle zurück. Als die Ärzte Anton aus meinem Bauch holten, hatte sich die Nabelschnur um seinen Hals gewickelt. Er war schon richtig blau. Zum Glück haben sie so schnell reagiert und damit sein Leben retten können. Ich wurde da gar nicht mehr gefragt und bin heute nur dankbar, dass die Medizin das leisten kann. Ein bisschen fühlt es sich aber trotzdem so an, als könnte mein Körper einfach keine natürliche Geburt leisten.
War ich nicht entspannt genug? Hätte ich mich mehr oder anders bewegen müssen? Warum ich? Die Fragen treiben mich immer noch um, auch 2 Jahre später. Irgendwie denkt man vor seiner ersten Geburt, dass man alles kontrollieren kann und in der Hand hat, wie die Geburt ausgehen wird. Erst in der Geburt merkt man dann, dass man es mit höheren Kräften zu tun hat, die mit nichts aus dem bisherigen Leben vergleichbar sind. Klar kann man auch hier gewissermaßen Einfluss nehmen, aber eben nicht 100%. Es gibt diese Ungewissheit darüber, wie die Geburt ausgehen wird. Das ist bei jeder Geburt gleich.
Mitleid wegen der Kaiserschnittgeburt
Das einzige, was mich wirklich nervt, ist die Reaktion einiger Mütter. Wenn ich gefragt werde, wie meine Geburt verlief und ich meine Geschichte erzähle, ernte ich viel Mitleid. Ich muss dann explizit erwähnen, dass ich wirklich froh bin, dass ich einen Kaiserschnitt hatte und Anton dadurch eine Chance gekriegt hat zu leben.“ Lisa zupft nervös an ihrem Pulloversaum währenddessen sie ihre Geschichte erzählt. Sie wirkt wie eine gestandene Frau mit leichtem Knick im Selbstwertgefühl, dass auf Grund ihrer Geburtsgeschichte gelitten hat.
„Treffe ich auf Mütter, die eine natürliche perfekte Geburt hatten, fühle ich schon die Komplexe in mir hochkochen“, erklärt sie weiter. „Dazu muss auch gar nichts weiter gesagt werden. Ich spüre dann sofort die Minderwertigkeitsgefühle, weil ich keine natürliche Geburt haben konnte. Dabei finde ich es gut und wichtig, dass vor allem Frauen mit natürlichen Geburten anderen davon berichten. Das war auch mein initialer Grund, warum ich eine natürliche Geburt wollte. Eine Freundin erzählte mir mit strahlenden Augen von ihrer entspannten und wundervollen Geburt im Geburtshaus. Das wollte ich auch.“
Was ich rückblickend anders gemacht hätte?
Ich hätte mich bereits in der Schwangerschaft damit auseinandergesetzt, dass Geburten Wendungen nehmen können, die nicht vorhersehbar sind. Vielleicht hätte mir das geholfen, den Kaiserschnitt im Anschluss selbst mehr akzeptieren zu können. Nach der Geburt war ich eine ganze Weile nicht so euphorisch, wie ich es mir vorgestellt hatte. Zu sehr grübelte ich darüber, warum es so kommen musste. Damit habe ich mir Energie und Zeit genommen, die ich am Anfang mit Anton hätte genießen können. Meine Nachsorgehebamme öffnete mir schließlich die Augen und empfahl mich zu einer Therapeutin. Mit ihr habe ich die Gefühle und Erlebnisse aufarbeiten können.
Wendungen im Geburtsverlauf akzeptieren
Für mein 2. Kind strebe ich wieder eine natürliche Geburt an. Ich will diese Kraft meines Körpers einmal erleben dürfen.“ Lisa ist bereits in der 28. SSW ihrer 2. Schwangerschaft. „Es wird wieder ein Junge“, verkündet sie lachend. „Dieses Mal setze ich mich viel damit auseinander, eine Leichtigkeit gegenüber dem Geburtsverlauf zu behalten. Mir ist sehr bewusst, dass ich mich vorbereiten kann – so gut es geht – aber dann Loslassen und auf den Geburtsverlauf vertrauen muss. Egal was kommt, ich freue mich auf mein Baby.“
„Anton geht es heute gut. Er ist ein witziger, ständig durch die Gegend rennender kleiner Junge. Ein Junge, wie jeder andere.“
Lisa